Via Alice Springs zum Ti Tree Roadhouse

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Mitten in der Nacht wachen JoMa auf und nutzen die Gelegenheit, draussen in der absoluten Dunkelheit und Stille die Sterne mit dem leuchtenden Band der Milchstrasse zu bestaunen. Sie sind überrascht, dass es noch knapp 16 °C warm ist. So wird der Morgen auch nicht viel kälter werden.

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Um halb sieben Uhr morgens zweigt sich am Horizont ein tief oranger Lihtstreifen, der das erste Tageslicht ankündigt. Wir können nun ausmachen, wo die Sonne aufgehen wird. Statt wie in Tassie am Strand, wollen wir hier heute inmitten des flachen Outbacks die ersten Sonnenstrahlen mit einem heissen Kafi begrüssen. Jo schafft es sogar, auch noch eine SuperBowl vorzubereiten 😁

Auch bei Sonnenaufgang können wir die leere und weite Landschaft fast körperlich spüren. Ganz still und leise sitzen wir mit unserem heissen Kafi da und lassen uns so von der tiefen Sonne wärmend verwöhnen. Es wäre doch schön, auch noch das Zmorge hier zu verspeisen. Doch plötzlich, als hätten tausend Fliegen in den Startlöchern gewartet, drangsalieren sie uns nach Sonnenaufgang wieder. Selbst das Zähneputzen wird zu einer Qual. Wir beschliessen, unser Heil in der Flucht zu suchen. Die 15 km Gravelroad zurück bis zum Stuart Highway kennen wir jetzt. So kann Ma es entspannter auf sich zukommen lassen.

 

Warum Alice Springs nur unser Zwischenziel und nicht unser heutiges Endziel ist, erfahrt ihr in dieser Zusammenfassung mit einigen Hintergrundinformationen:

In Alice Springs häufen sich derzeit besorgniserregende Vorfälle. Ein 24-jähriger Aborigine starb nach einem Ladendiebstahl in Polizeigewahrsam; die Todesursache wird noch ermittelt. Die Familie des Verstorbenen fordert eine unabhängige Untersuchung durch eine andere staatliche Behörde und die Veröffentlichung von Überwachungs- und Bodycam-Aufnahmen. Die Northern Territory Polizei lehnt diese Forderung ab und betont, dass ihre Ermittlungen unter Aufsicht des Gerichtsmediziners durchgeführt werden. Dies ist bereits der 9. Todesfall eines Indigenen in Polizeigewahrsam in diesem Jahr, was landesweit zu Forderungen nach systemischen Veränderungen führt.

Dieser Vorfall ist Teil eines grösseren Problems in Alice Springs, wo es in der Vergangenheit wiederholt zu Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen ist. Im März 2024 wurde nach gewalttätigen Ausschreitungen ein Notstand ausgerufen und eine nächtliche Ausgangssperre für Jugendliche unter 18 Jahren verhängt. Zusätzlich wurden 58 zusätzliche Polizeibeamte in die Stadt entsandt, um die Lage zu beruhigen. Trotz dieser Massnahmen kam es weiterhin zu Vorfällen mit Waffen und gewaltsamen Auseinandersetzungen, was die anhaltenden sozialen Spannungen in der Region verdeutlicht.

Die jüngsten Ereignisse werfen erneut Fragen zur Polizeiarbeit, zur Behandlung indigener Menschen und zu den sozialen Herausforderungen in Alice Springs auf.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage warum es gerade in der eigentlich kleinen Stadt mit 30’000 Einwohneren immer wieder zu diesen Unruhen kommt. Die Antwort auf diese Frage lautet:

Für viele indigene Gruppen ist das zentrale Australien ihr traditionelles, angestammtes Land – das sogenannte „Country“. Ihre Verbindung zu dieser Region ist spirituell, kulturell und tief historisch verwurzelt. Die indigene Bevölkerung wurde in der Vergangenheit durch Kolonialisierung, Landenteignung und staatliche Kontrolle über Generationen hinweg systematisch benachteiligt. Diese Vorgänge haben tiefgreifende soziale Wunden hinterlassen. Viele indigene Gemeinschaften leiden unter Armut, mangelndem Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Wohnraum und Arbeitsmöglichkeiten. Diese strukturelle Benachteiligung fördert Spannungen, Perspektivlosigkeit und auch Kriminalität. Es gibt eine hohe Zahl an Jugendlichen, die ohne Beschäftigung sind. In Kombination mit dem chronischen Alkoholmissbrauch kommt es regelmässig zu Auseinandersetzungen, Vandalismus und Gewalt. Viele indigene Menschen erleben systematischen Rassismus, sowohl im Alltag als auch von Behörden, einschliesslich Polizei. Polizeigewalt gegen indigene Australier:innen ist überproportional häufig – was Misstrauen und Widerstand verstärkt. Regierungen auf Bundes- und Territorialebene haben immer wieder reaktiv statt nachhaltig gehandelt, ohne langfristige soziale Massnahmen zu ergreifen.

Die wiederholten Unruhen in Alice Springs sind kein kurzfristiges Sicherheitsproblem, sondern Ausdruck eines jahrzehntelangen strukturellen Versagens im Umgang mit den Rechten, Bedürfnissen und der Geschichte indigener Menschen in Australien. Im Northern Territory liegt der Anteil indigener Bevölkerung bei rund 30 % – landesweit sind es nur etwa 3.8 %. In Alice Springs selbst macht die indigene Bevölkerung 25–40 % aus. Ohne echte, langfristige Zusammenarbeit mit den Communities wird sich an dieser Problematik wenig ändern.

Aus diesen Gründen haben wir keine grosse Lust, uns in der Stadt aufzuhalten, insbesondere die Campgrounds teuer und hoch eingezäunt sind. Wir halten deshalb hier nur zum Tanken, Einkaufen und für Jo’s Medis gegen seinen leicht zu hohen Blutdruck. Die Tanke ist schnell gefunden, die Pharmacy (Apotheke) auch und ein Lebensmittelgeschäft liegt gleich daneben. Erst geben wir in der Apotheke das Rezept ab, dann wird (fast) alles eingekauft, um dann in der Pharmacy aufgeklärt zu werden, dass sie leider nur 1 Packung vorrätig haben, das Rezept allerdings für 2 Packungen ausgestellt ist. Sie empfehlen uns, zur Apotheke im Stadtzentrum zu fahren, dort hätten sie mehr vorrätig.

Wegen des beschriebenen Alkoholproblems sind in Alice Springs alle Liquor Stores grundsätzlich montags und dienstags geschlossen. Dafür haben sie dann, nach Aussage eines Security Wachmanns, mittwochs mit grösseren Problemen zu kämpfen…

Leicht genervt durch den Umweg und das Gedränge in den Geschäften und den Strassen lassen wir Alice Springs hinter uns. Die heutige Fahrt könnte monotoner kaum sein. Der Stuart Hwy führt immer geradeaus, macht keine Kurven oder sonstiges und ist immer topfeben. Mit einem Wort: Langweilig!

Mit dem Rest vom Zmorge möchten wir unseren aufkommenden Hunger stillen. Leider versuchen wir 2x vergeblich einen geeigneten, nicht überschwemmten und passierbaren Rastplatz zu finden. Zum Schluss fahren wir bis zum Ti Tree Roadhouse durch. Als wir ankommen, merken wir, dass die Beschilderung verwirrend ist. Es gibt an diesem Ort zu viele «Ti Trees». Auch bei der kleinen Ti Tree Futterscheune gibt es einen Campground (ohne nixx nixx) und für die Duschi muss der Schlüssel im Laden geholt werden. Dafür ist er kostenlos. Hm… Lässt uns jetzt nicht gerade in Begeisterungsstürme ausbrechen. Das haben wir uns etwas anders vorgestellt. «Komm, wir fahren auf die andere Strassenseite zur Tankstelle, dort ist ja auch das Roadhouse ist», beschliessen wir. Hier werden wir fündig (inkl. WC, Dusche und WLan und sogar auf Gras) und kostet auch nicht die Welt. Erfreut merken wir, dass es wesentlich weniger Fliegen hat, dafür allerdings nach langer Zeit wieder ein paar Mücken ☹️.

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In der Nachmittagssonne sitzend lassen wir uns den Zmorge-Rest schmecken. Während wir so da sitzen, fahren Bob & Barbara mit ihrem noch kleineren Camper als unsere schon kleine Eneli schon ist, an uns vorbei. Ihrer ist nicht nur wesentlich kürzer, sondern auch niedriger. Für die beiden ist es ein kleines heimeliges Zuhause für die nächsten 12 Monate.

Später rinnt uns an der Bar ein herrlich kaltes Bier die trockene Kehle hinunter. Als wir aus der Bar herauskommen, sehen wir, dass sich noch ein grosses Tütschi vor uns gequetscht hat. Ist nicht so toll. Aber immerhin, stände der Kollege auf der anderen Seite, hätten wir keine Morgensonne… So erleben wir gross und klein am selben Tag und Ort.

Morgen können wir uns etwas mehr Zeit lassen. Es sind nicht so viele Kilometer abzuspulen und es empfangen uns (hoffentlich) nicht gleich Milliarden von Fliegen nach Sonnenaufgang 🪰.

 

 

 

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